Ein viertes Mal grabe ich tief in der Historie Dresdens und fördere Anekdoten zu Tage, die einen schaudern lassen. Tolle Zeichnungen von Alexander Stroh vervollständigen das Werk.
weitere Infos unter: https://www.alwis-verlag.de/dresden-zum-gruseln
Kaum zu glauben, aber diese eine Woche auf dem bislang unbekannten Galgenberg liegt nun schon wieder hinter uns.
Was hatten wir am Anfang? Historische Quellenbelege, die Todesurteile anzeigen. Doch wie im Nebel der Vergangenheit so häufig unklar, ist auch hier nicht immer und unmittelbar der Galgen als Ort der Vollstreckung, bzw. als Ort der letzten Ruhe genannt. Kartografisch ließ sich da schon eher eine lokale Übereinstimmung mit dem von uns referenzierten Platz feststellen. Und der Ort selbst? Eine riesige Steinschüttung in einem ovalen Bogen, die weder eine genaue Form, noch eine etwaige Nutzung erkennen ließ.
Einer der Entdecker, Mario Sempf, war die ganze Zeit dabei. Er hatte den Galgenplatz bereits vor einigen Jahren gemeinsam mit seinem Kollegen durch Zufall gefunden und zog bereits 2017 wissenschaftlichen Rat hinzu. Damals war noch unklar, ob dies nicht nur eine Steinschüttung der Bauern sein könnte, die ihre Felder von Bruchsteinen befreit hatten und nun hier eine abenteuerliche Aufschüttung hinterließen.
Eine erste Besichtigung damals ließ jedoch schon ahnen, dass hier viel mehr zu erwarten war.
Alexander Kästner vom Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der TU Dresden nahm sich gemeinsam mit seinen Studenten die archivarischen, zugegebenermaßen dünn gestreuten Quellen zur Gerichtsbarkeit in Lauenstein vor. Es gab Urteile, es gab den Platz und es gab einen unförmigen Steinhaufen. Genug, um vorsichtig zu eruieren, inwiefern es sich dort oben auf dem Berg tatsächlich um die Überreste des Lauensteiner Galgens handeln könnte.
Die Idee zu einer gemeinsamen Lehrveranstaltung entstand. Der praktische Teil bestand dabei darin, hier das Bauwerk so weit oberirdisch zu verifizieren, um im Idealfall ein historisches Galgenbauwerk zu dokumentieren.
Doch dazu braucht es jede Menge Organisation. Und deshalb an dieser Stelle herzlichen Dank an Frau Gelbrich, die das geschichtsträchtige Schloss Lauenstein als Museumsleiterin mit viel Hingabe leitet. Dank für die traumhafte Unterkunft und die unkomplizierte großartige Unterstützung in allen großen und kleinen Dingen! Dank auch an Rene, der uns immer tatkräftig zur Seite stand und dem wir eine große Portion Vorwärtskommen verdanken.
Ein herzlicher Dank geht auch an die Feuerwehr, die uns bereitwillig ihre Türen öffnete – das hat uns einiges erleichtert!
Danke auch an Siegfried Rinke, der den hart arbeitenden Studenten bereitwillig sein Freibad öffnete – ohne die Aussicht auf die wunderbare Abkühlung im schönen Quellbad hätte wohl der eine oder andere schon mal bei den heißen Temperaturen dort oben nicht so lange durchgehalten.
Dem Landesamt für Archäologie an dieser Stelle vielen Dank für die tatkräftige Unterstützung!
Mein größtes warmes Dankeschön geht an euch – die Studenten und Studentinnen der HU Berlin und der TU Dresden. Ihr habt mich mit eurem schweißtreibenden Einsatz, eurer sprachlichen Vielfalt und euren Kochkünsten immens beeindruckt! Danke auch an Alexander – du hast vieles organisiert und immer mal für eine kulinarische Überraschung – ich sage nur Oktopus- und Lotusknabbereien – gesorgt. Und Mario – dem Entdecker und Verbinder vieler Fäden. Ohne dich wäre diese großartige Dokumentation nicht zustande gekommen! Vielen Dank!
Andreas – deine Bilder spiegeln deinen Einsatz wider, danke dafür!
Euch allen vielen Dank für Muskeleinsatz, kluge Gedanken und vieles Wissenswerte über die sächsische (Sprach)Vielfalt.
Wie immer erscheint an dieser Stelle nach einer Auswertung die Darstellung der Ergebnisse zum Lauensteiner Galgen. Gut erhalten, mit Vorsprüngen und Absätzen verrät er schon jetzt, dass es sich hier um einen seltenen Befund eines originalen unveränderten dreischläfrigen Galgen mit Eingangssituation handelt, der bislang in dieser Form in Deutschland unbekannt sein dürfte.
Dr.phil. Marita Genesis
Historikerin/Archäologin M.A. Schwerpunkt: Rechtsarchäologie, archäologische und historische Richtstättenerfassung
Text: SciLogs - Wissenschaftsblogs » Abenteuer Geschichte - Archäologie unterm Galgen » Noch immer vorhanden – der Galgen auf dem Berg vor Lauenstein
Kommentar:
Mario Sempf
10.09.2019
Eine unglaublich spannende Woche war’s, mit sehr engagierten Studenten und einem Organisationsteam, das vor Freude und Tatendrang nur so strotzte! Und dabei war allen von Anfang an klar, das wir die ganze Woche in gebückter Haltung verbringen würden… Ein fetter Dank an alle, die diese Forschungswoche zu einer erlebnisreichen gemacht haben.
„Hier spricht die Polizei“
Vor einigen Wochen ging bei meinem Verlag (www.alwis-verlag.de) ein Anruf ein. Am anderen Ende war die Polizei. Um genau zu sein, die IPA, die International Police Association Verbindungsstelle Dresden. Steht man da nun plötzlich stramm? Die Organisation ist die größte unabhängige Berufsvereinigung der Welt. Mit 430 000 Mitgliedern in derzeit 67 Staaten eine sehr beeindruckende Gemeinschaft aus Polizisten und Angehörigen im Polizeidienst. Weitere Infos unter: www.ipa-dresden.de
Doch was hatte der Anruf zu bedeuten? Erfreulicherweise nur Gutes! Denn für die vielen internationalen Gäste, die Dresden besuchen, sucht der Vertreter entsprechende Literatur. Und diese hatte er offenbar in den Bänden „Dresden zum Gruseln“ Band1-3 sowie die Englischversion „Spooky Dresden“ gefunden. Eine durchaus bizarre Konstellation– die Polizei interessiert sich für schaurige Anekdoten aus dem Mittelalter!
Aus dem Gespräch meines Verlegers mit dem Polizisten ergaben sich erste Ideen einer möglichen Zusammenarbeit. Ein persönliches Treffen- zwei Wochen später- war das Ergebnis.
Geheimnisvolle Tür
Letzte Woche folgten ich und mein Verleger der Einladung ins Polizeipräsidium. Es ist kein Geheimnis, dass wir schon so manches spannende Projekt in der Vergangenheit auf den Weg gebracht haben, aber zugegeben, in den historischen Bau an der Schießgasse verschlägt es einen eher selten. Wir wurden bereits vom Gästebetreuer der IPA, Frank N., sowie Polizeihauptkommissar Lutz W. als Vertreter der Polizeihistorischen Sammlung Dresden, erwartet.
Selten habe ich mich auf so einen Besuch gefreut. Die Neugier und das Privileg in diesem Moment waren beeindruckend. Diese Tür im festungsartigen Polizeipräsidium öffnet sich doch eher selten für Menschen, die nicht unmittelbar mit den Geheimnissen dahinter zu tun haben. Weitere Details zum Besuch und zum Anliegen an mich erfahrt ihr hier in Kürze.
Die Polizeihistorische Sammlung Dresden, geheimnisvoller Ort der Geschichte von Mördern, Dieben und Strafverfolgung.www.ipa-dresden.de/polizeihistorische-sammlung.html
Aus purer Verzweiflung scheint der steinerne Löwe in die Kette zu beißen! Und ganz ehrlich: er hat auch allen Grund dazu. Denn das Gebäude, das er bewacht bewohnte einst der selbsternannte Kaiser Napoleon I. Erst jubelten ihm die Dresdner begeistert zu, dann merkten sie entsetzt, das dieser eiskalte Kriegstreiber nur Blut und Tot und später Verarmung über die Dresdner brachte. Zu spät! Mit einer Spur aus Trümmern und auch jeder Menge an Toten verließ er ein letztes mal siegreich eine Stadt Dresden. In der nächsten, in Leipzig, kam 1813 das tragische Desaster. Und dieses Ereignis hinterließ tiefe Narben.
Heute befinden sich Buchregale im einstigen Wohnquartier Napoleons, dem einst mächtigsten Mann Europas, vor dem alle zitterten. Wovon ich die ganze Zeit rede? Vom Friedrichstädter Krankenhaus in Dresden.
Weitere spannende Geschichten gibt's jederzeit auf meinem neuen Blog zu lesen.
Kennen Sie Antiqua Dressdin oder Alten-Dresden?
Im Jahre 1404 stiftete der kämpferischste unter den Wettiner Rittern der rechtselbig aus einer slawischen Siedlung entstandenen Stadt „Antiqua Dressdin“ ein Kloster. Es war Wilhelm I, bekannt als „der Einäugige“.
Die hier lebenden Augustinermönche gehörten zu den eher Vermögenden in der großen Schar der christlichen Klosterbrüder. Doch schon im Jahre 1429 kamen die Hussiten. Sie überrannten die lange Zeit ungeschützte Stadt Alten-Dresden wie eine ausgehungerte Armee Termiten. Und es sollte nicht die letzte Katastrophe bleiben, die über diesen kleinen Flecken unterhalb der dichten Heidewälder hereinbrechen sollte.
Verheerende Stadtbrände aber auch schier größenwahnsinnige, exzentrische Herrscher drückten der Stadt Alten-Dresden ihren Stempel auf. Diese existierte eigenständig mit Wappen und Stadtrecht auf der anderen Elbseite neben ihrer großen Schwester bis ins Jahr 1549 – getrennt durch eine steinerne Brücke.
Doch wie ging es dort im Mittelalter zu? Wer lebte hier? Was passierte, wenn derbe Marktweiber in Streit gerieten? Was, wenn sich unbelehrbare Fleischer über die strengen Regeln der Ratsgesetze hinwegsetzten und ihre bissigen Hunde auf brave Bürger hetzten? Wieso begegnet man hier dem in Stein gehauenen Tod häufiger als auf der anderen Elbseite? Und welch düsteres Geheimnis umgibt eine kleine Wiesenfläche mit einem prächtigen Kastanienbaum darauf?
Jahrhundertelang zogen Händler mit ihren Waren durch den Stadtteil bis hin zur Brücke. In umgekehrter Richtung wurde hingegen so mancher zum Tode verurteilte Schwerverbrecher auf einem Schinderkarren oder einer dünnen Kuhhaut hinaus übers „schwarze Thor“ zur Richtstätte geschleift. Stets unter der Anteilnahme tausender Schaulustiger. Denn es gab jede Menge Blut zu sehen! Mit viel Glück sprang sogar ein Souvenir heraus, ein Fingerglied oder Ähnliches ...
Weitere Informationen unter "Veranstaltungen"
Kennen Sie Altendresden?
Am 28.02.2019 startet meine neue Stadtentdeckertour.
Unter dem Leitspruch „Wenn der Tod Schokolade nascht“ betreten meine hoffentlich angstfreien Gäste mit mir gemeinsam unbekanntes Stadtgebiet. Die an morbiden Feinheiten reiche Erkundung Altendresdens endet am Café Chirel auf der Königstrasse 4. Dieser außergewöhnliche Straßenzug ist die unangefochtene Königin des Barocken Viertels Dresdens. Wenn wir schon immer wieder gern vom Dresdner Barock sprechen, dann ist es vor allem dieses etwas versteckte Viertel, das diesen Zusatz wirklich verdient. Heute ist dieser Bereich als sogenannte „Innere Neustadt“ bekannt und doch gibt es hier weitaus mehr zu entdecken als ein paar Modeläden, Tapas-Bars und Ateliers.
Denn dieser Stadtteil Dresdens gilt als ältester überhaupt. Einst stand in Elbnähe das Augustiner Kloster, dass das wettinische Raubein Wilhelm „der Einäugige“ nach seinem überaus blutigen Kampf gegen die Dohnaer Widersacher im Jahre 1402 vor lauter Frömmigkeit errichten ließ. Aber auch verheerende Brände kennt Altendresden. Und ausgerechnet an diesem Ort versuchte sich Dresdens größter Selbstdarsteller zu inszenieren, indem er die soeben nach dem Brand fertiggestellte Dreikönigskirche für sein goldenes Reiterstandbild versetzen ließ. Direkt auf den Friedhof! Eben diese Kirche, die mitten auf den bestatteten Friedhofsleichen steht, beherbergt heute zudem ein außergewöhnliches Sandsteinrelief, in dem der Tod den Ton angibt. Und als wenn das alles nicht schon bizarr genug wäre, ließ sich hier an der Festungsmauer Jahre später eine besonders unheimliche Gilde von Mediziner nieder. Diese wusste bald schon nicht mehr, wohin mit den zergliederten Leichenteilen. Denn Sägen und Pinzetten gehörten zu deren blutigen Arbeitsgeräten! Auch ein gewisser Räuber Namens Karasek sollte diesem Gebäude einen Besuch abstatten, seinen letzten wohlgemerkt!
Wo eben jene des Räuberhauptmanns übel riechenden Kadaverreste eventuell heute noch verscharrt liegen ist Inhalt dieser neuen Tour. Und warum es ausgerechnet auf dem heutigen Albertplatz einen Kastanienbaum mit wirklich fetten Kastanien gibt wird auch noch zu klären sein! Pflanzen sind geradezu versessen auf Kalzium, das sei schon mal an dieser Stelle verraten...
Süße Versuchung: Hexenrausch
Übrigens: im gemütlichen Café Chirel gibt es neuerdings auch eine handgeschöpfte Schokolade mit dem Namen „Hexenrausch“. Sie schmeckt nach Karamell mit einer feinen Salznote im Abgang und passt damit vortrefflich zum dritten Band von „Dresden zum Gruseln“ als kulinarischer Begleiter – denn es geht dabei um nichts Geringeres als um „Hexen und liederliche Weiber“. Die aktuellen Tourtermine findet Ihr dann selbstverständlich hier.
Wie geht es eigentlich weiter mit dem unheimlichen Galgenberg in Bad Belzig?
Im Herbst 2018 war ich an vier aufregenden Tagen mittendrin. Mittendrin in einer Zeitspirale. Ein Sturm hatte Monate zuvor einen Baum derart entwurzelt, dass er nun vollkommen frei lag und die Überreste eines erdbraunen Schädels im Wurzelgeflecht preisgab. Der Unterkiefer stand etwas schräg ab. Eine absurde Inszenierung der Natur! Und das auf einer bekannten und oft genutzten Richtstätte in Brandenburg! Es wurde Zeit zu handeln! Einst gehörte diese Region sogar zu Sachsen! Grund genug, dass ich mich in den Zug setzte und mit Sack und Pack dort im Walde mein Zelt aufschlug! Und das war auch ganz gut so, denn so beugte ich neugierigem Entdeckerdrang selbsternannter Ausgräber vor.
Unter Leitung von Richtstätten- Archäologin Dr. Marita Genesis von der Viadrina Universität Frankfurt wurde dem Bad Belziger Galgenberg nach Jahrhunderte langem Schlaf sein düsteres Geheimnis entlockt. Mit Schaufeln, Pinseln oder Zollstöcken. Das wir hier auf nichts wirklich nettes stoßen würden und schon gar nicht auf „Schätze“ war uns von vorn herein klar! Den hochmotivierten Studenten der Humboldt Uni und der Frankfurter Viadrina ebenso. Das Aufgabenpensum eines angehenden Archäologen ist sehr umfassend und Akribie und Gewissenhaftigkeit sind dabei die wichtigsten Attribute. Aber auch zig Kubikmeter Sand in Eimern schleppen und Kaffee auf Campingkochern kochen. Denn eine Küche war nicht mit uns mitgereist. Erfindergeist trotz spartanischem Grabungsalltag war angesagt. Am Ende der dreiwöchigen Grabung hatten uns die Funde sehr viel aus dem düsteren Alltag der Vergangenheit zu erzählen – nein, nicht die Toten selbst erzählten es uns - sondern deren Spuren von Leid und Gewalt. Die Sprache von Hiebspuren des Scharfrichterschwertes im Halswirbel war unmissverständlich. Auch gehören Köpfe nicht wirklich auf den Brustkorb bei Vergrabenen. Enthaupteten traut man das schon eher zu. Detektivisches Gespür war angebracht, um derartige Spuren lesen zu können.
Die Gruben sind inzwischen längst von Backerschaufeln verfüllt. Der Wald erobert seit vielen Wochen seinen alten Besitz zurück. Wie es jetzt weiter geht? Welche Pläne es für 2019 gibt? Und ob überhaupt? Und ob diese vielleicht sogar Sachsen zum Ziel so mancher Untersuchung haben – das alles bleibt abzuwarten. Es wird aufregend werden, das kann ich jetzt schon versprechen.
Kriminalbiologe Mark Benecke zu Besuch auf dem Bad Belziger Galgenberg:
https://youtu.be/Grjsb2P_cnE
Doch worum geht es in Lauenstein genau?
Dazu müssen wir dann doch mal einen Blick in die Stadtchronik werfen. Diese ist erstaunlich dünn, was aber nichts zu bedeuten hat.
Von allen kriegerischen Auseinandersetzungen hatte vor allem der Einfall der Hussiten im Jahre 1429 die Stadt und ihre Einwohner übel mitgenommen. Wenngleich der Dreißigjährige Krieg und der Durchzug der napoleonischen Truppen im Jahre 1813 tiefe Narben hinterließen, so waren es dennoch vor allem die Hussiten, die sich auf den Buchseiten durch ihr gewaltvolles Auftreten zu verewigen wussten.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war die Feste Lauenstein nur eine Burg von vielen. Sie sollte die viel begangenen Handelswege absichern. Die wichtige Fernhandelsstraße für die Kaufleute aus dem Böhmischen über die Erzgebirgskämme, hier vor allem der Kullmer Steig, und auch die Transportstraßen für das begehrte Silber und Zinn lockten jede Menge Raubgesindel. Gleichzeitig zog aber der Bergbau auch neue Gewerke an. Zimmerleute, Seiler, Dachdecker, Imker und Fleischer, Bäcker und Schmiede folgten dem „Berggeschrey“. Sie alle siedelten sich um die Burg herum an. Das verliehene Bierbraurecht ließ vielleicht so manchen fleißigen Handwerker erst recht hier Wurzeln schlagen, denn dieses kostbare und süffige Privileg erhielten sonst nur große Städte.
Es hätte also alles gut werden können.
Doch dann kamen sie, die Hussiten, mit ihren Wagenburgen, den Sensen und Dreschflegeln. Radikale Schlägertrupps, allen voran die Taboriten, die alles kurz und klein schlugen, was nicht in ihr Weltbild passte. Und das, obwohl ihre Leitfigur Jan Hus, der für seinen fortschrittlichen Glauben sogar auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war, genau das Gegenteil predigte – nämlich Verständnis, Erkenntnis, Toleranz und Gewaltlosigkeit.
Die Hussiten machten vor allem bluttriefende Schlagzeilen durch ihre entgleisenden Gewaltexzesse. Das Grauen eilte ihnen stets voraus. Rumpelte irgendwo ein Wagen durchs unwegsame Unterholz, wussten sich die Menschen angstschlotternd hinter den Festungsmauern ihrer Burgen zu verschanzen. Die Zeiten waren grausam, der Tod kam schnell und er lauerte hinter jedem Mauervorsprung. So auch in Lauenstein.
In der Brandner-Chronik von 1841 wird bereits auf den ersten Seiten auf eine interessante Besonderheit hingewiesen: Drei in die Vorderseite des Schlosses eingemauerte steinerne Kugeln sollen die Wirren von Überfällen und Kriegsleiden belegen. Die Hussiten hätten 1429 Lauenstein hart angegriffen heißt es dort. Und ein paar Seiten weiter wird Brandner genauer, als er für die Nachwelt festhält: „Allein im Hussitenkriege wurde der größte Theil der Vorstadt Lauensteins verwüstet, niedergebrannt und zerstört, weil den Feinden gerade der Platz, wo diese Häuser standen, am passendsten schien, um die Burg Lauenstein mit Wurfmaschinen berennen zu können. Dies geschah namentlich im Jahre 1429, wo die Hussiten unter ihrem Anführer Procopius (Prokop), auf ihrem Zuge nach Böhmen die sächsischen Städte und Festen, von Meißen an bis in die Lausitz hart mitnahmen und fast sämtlich zerstörten.“
Nun, diese lebendigen Berichte waren der Auslöser für ein spannendes Experiment. Mir kribbelte es bereits im Bauch. In meinen Gedanken drehte sich tagelang alles um Kugeln, vor allem um welche aus Stein. Nicht unerwähnt sollte ich jedoch folgendes Detail lassen: Die drei gewaltigen Steinschleuderkugeln stecken bis zum heutigen Tage fest in der Wand, und zwar in zehn Metern Höhe. Nahezu unerreichbar für jede normale Leiter.
Als ich die Schlossverwalterin Frau Gelbrich mit meiner kleinen abenteuerlichen Idee vertraut machte, fand ich in ihr sofort eine Gleichgesinnte. Auch sie hatte Lust, dem Wahrheitsgehalt der Geschichte auf den Grund zu gehen. Bestanden die Kugeln am Ende doch nur aus Pappe oder waren es angeklebte halbrunde Schalen? Steckten sie wie Korken in den Löchern fest und verstopften Zugänge zu Hohlräumen mit spektakulärem Inhalt? Oder wie wäre es mit Spezialbehältern, die innen einfach hohl waren? Offenbar hatte sich bisher noch keiner die Mühe gemacht, das Rätsel zu lösen. Grund genug für mich, jede Menge gewagte Pläne zu entwerfen, die mich in die Nähe der ersehnten Kugeln brächten. Eine Zeitlang machte die Idee des Abseilens übers Dach das Rennen. War der Dachstuhl eigentlich noch fest? Dann folgte Idee Nummer zwei: ein Versuch übers Fenster aus dem Türkensaal. Doch dann erinnerte ich mich an den berühmten Prager Fenstersturz – und der löste immerhin den Dreißigjährigen Krieg aus. Ich überlegte mir das also noch mal mit der Leiter. Mindestens zwölf Meter musste diese lang sein. Gab es das überhaupt? Und wie sollte man die in den Innenhof des Schlosses bekommen?
Fortsetzung folgt …
Euer Mario
Letzte Woche hatte ich euch ja schon darüber berichtet, dass ich mich für ein Rätsel in luftige Höhen gewagt habe.
Und nun ...
Ein mehr als zaghafter Blick nach unten. Kann das gutgehen? Und falls ja, was hab ich davon? Was kann es an dieser weiß getünchten Wand so Aufregendes geben, das diesen halsbrecherischen Aufstieg rechtfertigen könnte?
Die Schlossverwalterin hat jedenfalls ihre volle Unterstützung zugesichert. Sie steht unten mit dem Dachdeckermeister Andreas Kretschel zusammen. Er ist entspannt, sie etwas nachdenklich, fast besorg. Von ihm stammt dieses gigantische Leiterungetüm. Im Herbst nutzt er sie, um Laub aus den Dachrinnen der Häuser zu sammeln. Doch die Rinnen interessieren uns heute nicht im Geringsten.
Aber was ist es dann?
Bleibt gespannt,
euer Mario
Der goldene Herbst ist auch auf Schloss Lauenstein angekommen. Mit spektakulärer Farbenpracht legt er sich ins Zeug, vor allem die roten Weinblätter verzaubern die alten Gemäuer, als wäre kurz zuvor ein hochbezahlter Dekorateur unterwegs gewesen und hätte kunstvoll da und dort Hand angelegt.
Fast könnte einem schwindlig werden, wenn man diese betörenden Farben sieht. Wenn da nicht ein anderes Ereignis wäre …
Was hat denn diese zwölf Meter lange Leiter an der Schlossmauer verloren? Soll etwa die Burg erstürmt werden? Jetzt, im Jahre 2018? Bestimmt nicht.
Doch welchen vernünftigen Grund sollte es sonst geben, die vierzig Aluminiumsprossen bis direkt unters Dach zu steigen – ausgerüstet mit Hammer, Zollstock, Pflanzensprüher und einem Messer? Und was hat das alles am Ende mit einem Scharfrichterschwert oder einer Bergmannsaxt gemein?
Seid ihr neugierig genug? Das Rätsel ist zu knacken. Aber zunächst muss einer rauf in luftige Höhen. Und das bin wohl ich. Wieso, weshalb, warum? Aufklärung naht. Versprochen!
Euer Mario
Beinahe einhundert Meter steigt die dicke Qualmwolke inzwischen in die Höhe. Alles scheint sie einhüllen zu wollen. Menschen jeden Alters rennen schreiend und wild gestikulierend durch die engen Gassen Altendresdens. Manche sind halb nackt, weil sie nicht einmal die Zeit gefunden haben, sich etwas anzuziehen. So schnell war das Unheil über sie hereingebrochen.
Überall werden dringend helfende Hände gebraucht. In den Gesichtern der Einwohner sitzt die nackte Angst. Es sind entstellte Grimassen, in die man blickt. Sie alle wissen, was sie zu verlieren haben. Und sie werden den Kampf nicht gewinnen können …
Der Albtraum einer jeden Stadt war wie aus dem Nichts gekommen. Nur wenige Minuten hatte der ganze Spuk gedauert. Im Haus des bekannten Kunsttischlers auf der Meißner Gasse, ungefähr da, wo sich heute der Parkplatz neben dem Blockhaus an der Elbbrücke befindet, hatte das Feuer begonnen. Vielleicht durch eine Unachtsamkeit, eine Nachlässigkeit. Erst ganz klein, begann es sich urplötzlich in rasendem Eifer in die am Boden liegenden Holzspäne hineinzufressen – mit einer Gier, die nicht zu bändigen war. Der arme Mann griff zwar noch eilig nach seinem Ledereimer, der pflichtgemäß im Zimmer bereitstand, aber das Löschwasser darin war einfach nicht genug, um der Fresslust des Feuers den Garaus zu machen. Im Handumdrehen war es auf den Dachstuhl des benachbarten Hauses übergesprungen. Und von da zum nächsten. Es ging so rasend schnell, dass die Bewohner Altendresdens wie gelähmt zuschauen mussten, ohne wirklich eingreifen zu können. Denn die Häuser bestanden noch immer weitestgehend aus Holz und erinnerten an die einfachen Behausungen des Mittelalters.
Mit Löschwassereimern versuchten die Menschen irgendwie das Schlimmste zu verhindern, aber das Wasser konnte aus den Schwengelbrunnen gar nicht so schnell heraufgezogen werden, wie es gebraucht wurde. Und manch ein unvorsichtiger Bewohner verbrannte elendig in seinem Hause beim Versuch, Hab und Gut doch noch zu retten. Auch die Kinder des Kunsttischlers erstickten jämmerlich. Überall mischte sich unter das Geräusch der Feuersbrunst ein Jammern, Winseln oder Brüllen, oft so schrecklich, dass es kaum wie aus menschlichen Kehlen klang.
Am Ende dieses schicksalhaften Tages hatte das verheerendste Feuer, das Altendresden je heimsuchte, 336 Häuser verschlungen. Lediglich der "Jägerhof" und das Altendresdner Rathaus waren verschont geblieben.
Das Feuer vom 6. August 1685 war zwar nicht der erste Stadtbrand gewesen, es sollte jedoch diesmal die Stadt vollkommen umkrempeln. Denn sofort nachdem die letzten Brandherde erstickt waren, begann man – auf Anordnung Johann Georg III., des Vaters August des Starken – Pläne für eine neue Stadt zu schmieden: "die neue Stadt bey Dresden". Heute kennen wir diesen Stadtteil unter dem Namen "Neustadt", dieser Tage ein beliebter Ort für Touristen und Dresdner gleichermaßen. Hier wird gebummelt, Eis gegessen, an Brunnen sitzend so mancher Alltagsstress vergessen. Die Neustadt ist ein Besuchermagnet und gehört sozusagen zum Pflichtprogramm eines jeden Dresden-Besuchers. Schon allein, da hier das Reiterstandbild August des Starken zu bewundern ist. Dieser war es auch, der – Bezug nehmend auf die Feuerkatastrophe von 1685 – verfügte, dass die Dächer zukünftig aus Ziegeln zu bestehen hätten und kein Haus höher als das Japanische Palais sein dürfe.
Die Feuerverordnungen wurden auch noch einmal verschärft. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass das pflichtmäßige Bereitstellen lederner Feuereimer an jedem Haus nicht immer reichte. Auch die Türmer und Nachtwächter, die den Ausbruch eines Brandes lautstark anzuzeigen hatten, waren auf das Desaster von 1685 nicht annähernd vorbereitet gewesen. Vielleicht begann unter all diesen Eindrücken und Erkenntnissen die Idee für eine erste organisierte Feuerlöschgruppe zu keimen, aus der später eine strukturierte und funktionierende Feuerwehr entstehen sollte.
Einer dieser ledernen Feuereimer steht übrigens noch heute im Heimatmuseum Dohna. Dort habe ich ihn gesehen und in die Hand nehmen können. Zuständig für seine Herstellung war der Abdecker, der in Dresden dem Scharfrichter unterstand. Oft wird solch ein Eimer Schlimmeres verhindert haben, doch die häufigen Stadtbrände, auch in Dresden, zwangen zu drastischeren Maßnahmen. Feuergefährliche Berufe mussten quasi vor die Tore der Stadt umziehen. Ein Beispiel dafür sind die Ziegelbrennereien, an welche noch heute ein Straßenname in der Nähe des Eliasfriedhofes erinnert.